Von STEFAN ANKER
Derzeit bin ich ziemlich weit weg von zu Hause, nämlich in Japan. Dort habe ich von der Tokyo Motor Show berichtet, und vor dem Heimflug konnte ich interessanterweise noch eine Sorte Autos testen, die es in Europa gar nicht gibt. Schuhkartons auf Rädern könnte man sie nennen, offiziell heißen sie Kei-Cars. Bevor ich aber darüber ganz ernsthaft schreibe, muss ich hier mal von einem kleinen Clash of Civilizations erzählen: Japaner und Journalisten – zwei Welten treffen aufeinander.
Mit dem Shinkansen waren wir nach Hamamatsu gereist, 250 Kilometer südwestlich von Tokio, wo die Firma Suzuki ihren Sitz hat. Das Ziel war: Kei-Cars, also diese typisch japanischen Micro-Autos mit maximal 3,39 Meter Länge und höchstens 660 Kubikzentimetern unter der Haube, kennen zu lernen und auch zu fahren.
Für mich und für die meisten anderen aus der kleinen Journalistengruppe bedeutete das: Jede Minute nutzen, um die sechs verschiedenen Modelle des Kei-Car-Marktführers gründlich zu bewegen und vor allem: Fotos zu machen. Denn ohne Bild kein Text.
Für unsere japanischen Gastgeber aber bedeutete der Termin: Eine Stunde über die Erfolge der Firma reden, gemeinsam essen gehen (ohne Schuhe, mit Fisch, sehr lecker), 90 Minuten das Suzuki-Museum besuchen und auch noch ein bisschen Auto fahren.
Außerdem wurde jedem Testwagen eine japanische Begleitung zugeordnet. Das ist nett, denn wer von uns versteht schon japanische Navigationsansagen? Aber es ist auch ungewöhnlich, wenn der Begleiter zwar englisch kann, aber keinerlei Aussagen über das Modell trifft, in dem er sitzt. Merke: Die Japaner besprechen sich lieber erst einmal untereinander, bevor sie antworten, und das kann so ein Einzelkämpfer im Auto ja nicht.
Es soll nicht spöttisch klingen, schließlich bin ich im Land zu Gast, und ich schätze die umwerfende Freundlichkeit der Leute hier. Aber wenn ich arbeiten muss, dann will ich auch arbeiten können, also Auto fahren, Fotos machen, Fragen beantwortet bekommen.
Die Foto-Locations, die unsere Gastgeber ausgesucht hatten, waren dann auch eher suboptimal (belebte Parkplätze), ein Kollege von einer Fachzeitschrift (die ohne gute Bilder gar nicht existieren kann) jammerte immer lauter, und die Japaner bekamen irgendwie mit, dass wir nicht ganz genau so wollten wie sie.
Und was dann auf einem gottlob leeren Großparkplatz passierte, davon werden sie noch ihren Enkeln erzählen. Wir machten endlich Fotos, und zwar so, wie es sich gehört, nämlich von fahrenden Autos. Optimalerweise legt sich dazu der Mensch mit der Kamera in Auto Nummer eins und lässt sich bei geöffneter Heckklappe chauffieren. Dabei fotografiert er Auto Nummer zwei, das möglichst dicht hinterherfährt. Car to car nennt man das. Ich selbst mache das nur selten, weil man für diese Übung zu dritt sein muss und zwei Autos benötigt – aber bei Autozeitschriften ist Car to car ein absoluter Standard, und die treiben dann auch den Aufwand dafür.
Ich glaube, das hatten die Herrschaften in Hamamatsu noch nie so gesehen, und sie fanden es viel zu gefährlich, was wir da veranstalteten. Als jemand ihnen erzählte, dass die komischen Langnasen (also wir) so etwas zu Hause auch auf öffentlichen Straßen tun, konnten sie es kaum glauben.
Persönlich weiß ich gar nicht, ob Car to car auf der Straße tatsächlich erlaubt oder verboten ist. Wahrscheinlich ist es eher nicht erlaubt, aber für mich gilt da immer der Satz, dass man zu viele Antworten bekommt, wenn man zu viele Fragen stellt.
Will sagen: Es geht die Welt nicht unter, wenn man mal fünf Minuten mit offener Heckklappe fährt. Ich habe versucht, meiner Begleitung diese Haltung zu erklären, als ich eins der Autos an einem Fischereihafen fotografieren wollte. Man musste dazu ganz, ganz kurz ein Einbahnstraßenschild ignorieren, das Auto umdrehen, anhalten, fotografieren – und weg. Die junge Japanerin hatte Bedenken, dann kam auch noch ihr Chef und ging tatsächlich zum Hafenbüro, um zu fragen. Bevor er zurückkam, habe ich habe den Satz mit den Fragen und den Antworten in die japanische Kultur eingebracht und das Foto gemacht.
Also: Wir Deutschen haben in Hamamatsu ein wenig Anarchie verbreitet, aber am Ende hat doch jeder, der wollte, passende Fotos erhalten. Diese Fotos werden zu ansprechenden Online- oder Zeitungsseiten führen, und die wird dann die Pressestelle von Suzuki Deutschland nach Japan übermitteln. Vielleicht verstehen die Leute aus dem Marketing und der Entwicklung, die uns begleitet haben, dann, was wir eigentlich wollten. Womöglich freuen sie sich dann sogar ein bisschen.
Eine Pressestelle, wie wir sie von deutschen Herstellern kennen, gibt es in der Suzuki-Zentrale übrigens nicht. Japanische Journalisten, die ein Foto von einem Suzuki brauchen, fragen an und bekommen eins geschickt. Unsere Testfahrt war nur möglich durch eine hartnäckige Vorbereitungsarbeit der deutschen Suzuki-Pressestelle, die über sechs Monate ging und am Ende zwölf japanische Hierarchiestufen durchlaufen hat.
Ich konnte das kaum glauben, als ich es hörte, denn in meiner grenzenlosen Naivität denke ich immer, es könnte alles so einfach sein. Ist es aber nicht.
Die Reise nach Japan wurde unterstützt von Mazda, Subaru und Suzuki. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter www.axelspringer.de/unabhaengigkeit
Der Beitrag Kleiner Kulturschock oder: Autotest in Japan erschien zuerst auf PS.