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Einen Monat ohne Führerschein – Folge 2

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Von STEFAN ANKER

Liebe Freunde, ich bedanke mich für die große Anteilnahme an der Geschichte über mein Fahrverbot. Viele Klicks, schöne Kommentare und eine angenehme Diskussion auf Facebook, das hat mir gut gefallen. Aber eine Strafe muss ja auch weh tun. Also habe ich, obwohl der Führerschein erst einmal weg ist, meinen Termin in Klettwitz nicht abgesagt, sondern versucht, da irgendwie hinzukommen. Klettwitz? Das  liegt ziemlich dicht an der Autobahn, man erreicht das also ganz gut. Ohne Auto aber ist es eine Odyssee, die ich nur bußfertigen Menschen wie mir selbst empfehlen kann.

Der Journalist steht nicht gern früh auf, und ein verwöhnter Motorjournalist tut das eigentlich nur, wenn ihm dieses Opfer mit einem Business-Class-Flug nach Übersee vergolten wird. Ich aber musste von Königs Wusterhausen (südlich von Berlin) nach Klettwitz (irgendwo im Nirgendwo). Um zehn Uhr sollte ich dort sein, und mit Führerschein hätte es ausgereicht, dafür um acht Uhr aufzustehen und um neun Uhr loszufahren.

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Mein Fahrrad im Fahrrad-Parkhaus am Bahnhof – da stand es tatsächlich sicher, bis ich kurz vor Mitternacht wieder dort war Foto: S. Anker

Stattdessen, liebe Radarfallensteller in Mecklenburg, klingelte mein Wecker um 5.45 Uhr. Stockfinster war es, als ich eine Stunde später mein Fahrrad aus der Garage holte, um den ersten Teil der Dienstreise zu beginnen. Sechs, sieben Kilometer sind es bis zum Bahnhof, und ich traf dort auf ein beachtliches Fahrrad-Parkhaus, das ich so noch nie bemerkt hatte.

Zum Staunen blieb aber nicht viel Zeit, denn als ungeübter Bahnkunde musste ich nun zum Fahrkartenschalter. Nach Klettwitz und am selben Tag zurück, dann aber bis Berlin-Friedrichstraße. Ob das gehe? Der Mann guckte mich ein bisschen irritiert, auch ein bisschen müde an,  tippte drei, vier Mal auf seinem Computer herum und sagte dann: “30 Euro glatt.” Teuer ist es also auch noch, das Auto nicht zu benutzen.

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Es ist unfair, solche Fotos in der Provinz zu machen – aber es ist auch verlockend Foto: S. Anker

Die erste Etappe ging mit der Regionalbahn nach Calau in der Niederlausitz, eine “Kleinstadt mit Witz”, wie mich die Aufschrift auf einem stillgelegten Partywaggon der Bahn belehrte, der dort, also in Calau, auf dem Abstellgleis stand. Aber ich will hier nicht über die brandenburgische Provinz spotten, denn Provinz gibt es überall, und wie schrecklich wäre es, wenn alle Menschen in der Großstadt leben müssten?

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Bahnhof Finsterwalde und einer der rührendsten Sprüh-Sprüche ever: “Mit Dir hört sich lebenslang plötzlich sehr erträglich an” Foto: S. Anker

In Calau stieg ich um in die Bahn nach Finsterwalde, wo ich tatsächlich den Bus zu nehmen hatte. Ich finde Busse, auch wenn sie irgendwie Autos sind, unangenehm. Ich kann im Bus  nicht lesen während der Fahrt, sonst wird mir schlecht. Mich stören das schaukelige Fahrverhalten und die wanderdünenhafte Beschleunigung. Außerdem mag ich die Enge im Bus nicht. Aber das war zwischen Finsterwalde und Klettwitz (Markt) nicht das Problem.

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Nichts geht über das Warten auf den Bus, in meinem Fall war es der 599er Foto: S. Anker

Der Bus wird Bus genannt, weil Bus das Kurzwort für Omnibus ist, und Omnibus wiederum ist der Dativ des lateinischen Wortes “omnes”, was “alle” bedeutet. Der Bus als Kraftfahrzeug ist also allen – oder verständlicher übersetzt: für alle. Wir aber waren in Finsterwalde nur zu zweit eingestiegen, und erst kurz vor Klettwitz (Markt), wo ich aussteigen musste, kam noch eine Gruppe Kindergartenkinder mit zwei Erziehern an Bord. Die Kinder fuhren kostenlos, so kann der ÖPNV sich natürlich niemals rechnen.

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Schöner wandern: Landstraße, Autobahnbrücke, Tribüne vom Lausitzring Foto: S. Anker

Nachdem ich die Subventionskutsche (finanziert vielleicht von meinen Kfz-Steuern? Oder von meinem Bußgeld?) verlassen hatte, standen mir noch zwei Kilometer Fußmarsch bevor. Die Landstraße, an deren Rand ich mich bewegte, führte – als kleine Ironie – zur Autobahnauffahrt. Denn dort lag mein Ziel, das Dekra-Technikzentrum direkt gegenüber dem Lausitzring.

Ich wusste das natürlich vorher, schließlich hatte ich es gegoogelt (100 Kilometer von meinem Haus, Fahrzeit eine Stunde und zwei Minuten). Trotzdem glaubt man es als Fußgänger nicht, dass Landstraßen wirklich keine Fußwege haben und so unwirtlich sein können. Ich weiß, dass man die Autobahn nicht zu Fuß betreten darf. Ob das auch fürs Überqueren einer Autobahnauffahrt gilt, ist mir nicht bekannt, aber was sollte ich machen?

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Am Ziel: Dekras Technikzentrum liegt an einer Kreuzung mitten im nirgendwo, aber Kreuzung ist sogar mit Fußgängerampeln ausgerüstet Foto: S. Anker

Drei, vier, fünf Mal habe ich nach links und nach rechts gesehen, bin dann forschen Schrittes über die Auffahrt (ganz schön breit), kam noch an einer Esso-Tankstelle vorbei, und dann war ich am Ziel. Meine  Landstraße kreuzte vor dem Dekra-Zentrum und der Rennstrecke noch eine Bundesstraße, und da gab es dann tatsächlich ein paar Meter Bürgersteig mit Fußgängerampel und Knopf zum Drücken. Wer außer mir hier wohl jemals zu Fuß ankommt?

Es war 9.45 Uhr, ich war also drei Stunden statt nur einer unterwegs gewesen, aber ich war stolz. Ich hatte der Demütigung, die so ein Fahrverbot ja auch bedeutet, die Stirn geboten und mich der Sache gestellt. Ich war pünktlich zu meinem Termin erschienen, der für eine Geschichte, die Sie am Sonntag (29.11.2015) in der “Welt am Sonntag” lesen können, wichtig war. Ich fühlte mich sogar angenehm fit nach der ungewohnten Bewegung am frühen Morgen.

Und ich vergaß für einen Moment, dass ich am Nachmittag noch den Rückweg vor mir hatte.

Der Beitrag Einen Monat ohne Führerschein – Folge 2 erschien zuerst auf PS.


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