Von STEFAN ANKER
Es ist vielleicht ein bisschen unfair, ausgerechnet jetzt die Frage zu stellen, da VW ganz andere Sorgen hat. Aber trotzdem: Was ist eigentlich aus dem Projekt geworden, für Länder fern von Europa ein Billigauto zu entwickeln, das umgerechnet weniger als 5000 Euro kostet? Ich komme nur drauf, weil ich gerade bei Renault eine beinahe unglaubliche Geschichte gehört habe.
Über das meiste, das ich dort erfuhr, darf ich vorerst gar nichts schreiben, weil Designchef Laurens van den Acker nagelneue Modelle für 2016 im Bild gezeigt hat, aber die ganze Veranstaltung als Hintergrundgespräch deklariert war: “off the record”. Es gibt also die Vereinbarung, nichts auszuplaudern, bis die Fotos offiziell auf den Markt kommen.
Trotzdem will ich hier etwas berichten, denn es ging bei dem Treffen auch um ein nicht geheimes Auto, das Renault in Indien baut. Es hört auf den Namen Kwid, sieht aus wie ein neues Kleinst-SUV von Dacia und kostet: 4300 Euro. Inklusive Navigationssystem, angezeigt auf einem 7-Zoll-Touchscreen. Serienmäßig, man muss das vielleicht noch einmal betonen.
Hoppla, das ist wirklich ziemlich günstig, und wie es aussieht, will VW in dieser Preisklasse gar nicht mehr mitspielen: Die neue Budget-Autofamilie soll 2018 in China auf den Markt kommen und Modelle umfassen, die zwischen 8000 und 11.000 Euro kosten. So sagte es der frühere Konzernchef Martin Winterkorn selbst in einem Interview mit der “Bild am Sonntag”.
Diese Preisspanne zwischen 8000 und 11.000 Euro ist für China, dessen Menschen immer besser verdienen, wahrscheinlich passend. Doch in dem beinahe ebenso bevölkerungsreichen Land Indien braucht es viel billigere Wagen, die VW dann doch nicht mehr machen will.
Van den Acker berichtete mit sehr zufriedener Miene, wie der Renault Kwid den indischen Händlern aus den Händen gerissen werde. 2000 Autos pro Monat betrage die Kapazität der Fabrik, aber in den ersten Wochen seien 2000 Bestellungen pro Tag eingegangen. Indien sei ein Land mit gigantischen Wachstumschancen, weil dort nur 14 Autos auf 1000 Menschen kämen, drei bis vier Mal weniger als in China (um 50 pro 1000).
Der Kwid allerdings rechne sich dort nicht wegen der hohen Stückzahlen (nach zwei Monaten seien 72.000 Autos bestellt worden), sondern wegen der geringen Kosten. Die Idee, mit Dacia-Teilen zu arbeiten, wurde schnell verworfen – Renaults rumänische Billigmarke war für Indien schlicht zu teuer. Nun bezieht man 98 Prozent der Kwid-Teile aus indischer Fertigung und vermarktet den Billigheimer als lokales Premium-Auto.
Damit stellt der Renault eine interessante Alternative zum ebenfalls in Indien gebauten Tata Nano dar, der anfangs für 1400 Euro auf den Markt kam, aber nie so richtig angenommen wurde, weil er einfach zu schlicht ist. Inzwischen hat Tata den Wagen aufgewertet, man zahlt nun auch zwischen 2500 und 4000 Euro dafür – aber er sieht halt immer noch aus wie eine Mobilitätshilfe, während Renault seinen Kunden ein kesses Klein-SUV hinstellt.
Nach Europa wird man den Kwid nicht bringen können, dafür erfüllt er einige Zulassungsbedingungen nicht (Sicherheit, Umwelt). Aber das ist nicht der Punkt. Sondern festzuhalten bleibt: Renault kann ein Auto unter 5000 Euro verwirklichen, VW kann es nicht.
Oder, was wahrscheinlicher ist: Man will es irgendwie nicht. Wir haben die Sache gestern im Kollegenkreis noch besprochen, und einer sagte, VW sei zu sehr Ingenieursfirma, während Renault das Autogeschäft generell mehr von der kaufmännischen Sache angehe.
Da ist wahrscheinlich etwas dran, wenn man sich in Erinnerung ruft, welche Debatten es in dem gemeinsamen Kleinwagenprojekt von Renault und Daimler gab – die einen bauen den Twingo, die anderen den Smart. Und auf dem Weg dorthin waren die Franzosen immer wieder erstaunt, welch teure Technik die Deutschen ins Auto bringen wollten (Doppelkupplungsgetriebe zum Beispiel). Während die Daimler-Leute aufpassen mussten, dass sie im premium-teuren Smart nicht zu viele sichtbar preiswerte Lösungen verbauten, die den Renault-Entwicklern eingefallen waren.
Nun versteht sich VW ja auch irgendwie als Premiummarke, und unter Martin Winterkorn wurde der Perfektionswahn auf die Spitze getrieben. Das nützt den wahrlich guten VW-Modellen, auch denen von Audi, Skoda, Seat – aber einem möglichen Massengeschäft mit sehr einfachen Basisautos für Indien schadet diese Haltung eher.
Zurzeit tut das wohl in Wolfsburg keinem weh, weil man wirklich andere Sorgen hat. Aber nehmen wir an, Indien entwickelt sich wirtschaftlich gut weiter. Viele, viele Menschen kaufen den kleinen Renault, keiner kauft einen entsprechenden VW, weil es keinen gibt.
Welche Marke hat dann wohl größere Chancen, in einigen Jahren auch höherwertige Autos in Indien zu verkaufen?
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